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Glücklich sein nur Sonntags erlaubt

Am Samstag bin ich wieder nach einem guten Schweizer Frühstück gestartet, um die Stadt zu erkunden. Eine Pagode, die außerhalb der Stadtmauer lag, war mein erstes Ziel. Der Stadtplan war klein, also hab ich gedacht, könnte ich das laufen. Also bin ich gelaufen, und gelaufen, und gelaufen, und kam dem Ziel doch nicht näher. Eigentlich wollte ich um zwölf Uhr dort sein, da sie dann eine Fontänen Show hatten, es war mittlerweile 10vor 12, als ich realisiert habe, dass ich noch ewig weit davon entfernt bin. Da sich kaum Touristen hier rauswagen, wurde ich als einziger Ausländer mal wieder angestarrt, wie verrückt. Ich bin dann mal in einen Bus gestiegen, bis er nicht mehr in die Richtung fuhr, in die ich wollte. Dann bin ich wieder gelaufen, hab ein Computerkaufhaus gefunden, wo ich auf 5Etagen voller Elektroniksachen, irgendwo mal mein neues USB-Kabel bekommen habe. Wieder musste ich mich zusammenreißen, um nicht neue Lautsprecher und tolle Beleuchtung für mein Auto zu kaufen. Danach ging es wieder in irgendeinen Bus, der mich meinem Ziel wieder ein Stück näher brachte. Irgendwann kam ich dann mal mit schmerzenden Füßen dort an. Es war mittlerweile nach eins und es war geschlossen bis um drei. Also bin ich mit dem nächsten Bus wieder zurück in die Altstadt, zu Fuß zum Glockenturm, zum Trommelturm (alles nur von außen, da die hier für alles einen Haufen Geld für Eintritt haben wollen) und dann bin ich im muslimischen Viertel mehrere Stunden hängengeblieben. Zwei lange Straßen vollen Krimskrams Läden, Verhandeln und Fressbuden, wo man sich durchprobieren konnte.

Am nächsten Tag bin ich erst später aufgebrochen, da ich noch Wäsche gewaschen habe, diesmal gab es zumindest eine Waschmaschine. Ach ja, in meinem Zimmer habe ich natürlich mitten in der Nacht noch ein Pärchen dazubekommen, die ich aber bisher erst einmal gesehen habe, da sie total früh schlafen gehen und total spät aufstehen und das Neue Testament neben dem Kopfkissen liegen haben. Und am frühen Morgen kam noch ein älterer Herr in das Bett über mir, der uns nun die letzten Nächte mit extrem lautem Schnarchen wach hält. Am Sonntag bin ich dann jedenfalls mit dem Ziel los, ein holländisches Café zu finden. Ich hab es auch gefunden, allerdings war neben den sechs chinesischen Bedienungen, die auf dem Tisch lagen und geschlafen haben und den typisch chinesischen Holzstühlen, nichts Europäisches zu finden. Aber es gab guten Cappuccino und Apfelkuchen, der auch ok war. Im Schneckentempo bin ich dann außerhalb der Stadtmauer entlang geschlendert, wo der Weg über mehr als einen Kilometer von Fitnessgeräten gesäumt war. So was müsste man bei uns auch mal einführen. Und die waren alle in Benutzung, von Jung und Alt, von klein und groß, von Leuten in Trainingsanzug und Leuten in Krawatte und Anzug, von Leuten in Sportschuhen und Leuten in High Heels, einfach so zum Spaß oder zum fithalten. Dann gab es einen großen Platz mit ca. 20Tischtennisplatten, alle in Benutzung. Und einen Platz mit Tischen, wo die alten Herren ihr chinesisches Schachspiel spielten oder bei Kartenspielen ihr Geld verzockten. In den stilleren Ecken gingen ältere Herren ihren Kampfsportübungen nach oder übten mit ihren selbstgebastelten Musikinstrumenten. Vor einem kleinen Restaurant gab es ein Livekonzert mit chinesischer Volksmusik. Kleine Kinder freuten sich darüber, ihre Welpen umherschleppen zu können und große Männer ließen Drachen steigen. Und wenn man schauen wollte, wo der Drache ist, hat man nur einen kleinen Punkt gaaaanz weit oben am Himmel gesehen, keine Ahnung, WIE lang das Seil war. Und jetzt kommt das Erstaunlichste: Das alles wurde mit einem Lächeln gemacht, der sonnige Tag war erfüllt mit lachenden Menschen. Die lauten, aggressiven Stimmen hatten auch Wochenende, es wurde in einem normalen Ton gesprochen, aus dem man sogar Freude heraushören konnte. Es wurde nicht geschubst und gedrängelt, alles lief friedlich und ruhig ab. Kaum zu glauben, dass die Chinesen so sein können. Das ist echt, als würde der Staat ihnen sechs Tage die Woche verbieten, Mensch zu sein und am Sonntag dann wird alles rausgelassen. Da sich sonst wieder kein anderer Tourist hier raus verirrt hat, wurde ich wieder angestarrt, aber diesmal meist mit einem Lächeln oder Winken oder „Hello!“, der Wahnsinn! Ich habe dann also mal die Freundlichkeit der Chinesen genossen, während ich an einem schönen Frühlingstag unter blühenden Kirschbäumen durch einen schönen Park zwischen Stadtmauer und Fluss entlanglief. Bis ich wieder in eine Gasse innerhalb der Stadtmauer geraten bin, in der ich wieder in Stöbern und Kaufen versunken bin. Am Abend hab ich mir dann mal im Restaurant ganz was Teures gegönnt; Pekingente für 4€, was hier für ein Abendessen schon verflucht teuer ist. Ente gut, alles gut… wohl nicht ganz. Ente war gut, Soße hat nach Seife geschmeckt, aber ok, ich hab mich daran gewöhnt, lange nichts mehr gegessen zu haben, was wirklich mal so richtig gut schmeckt.

Dann war Montag und das Lachen war wieder verschwunden. Zurückgekehrt sind die schubsenden, drängelnden, unfreundlichen, lauten, respektlosen Chinesen. Nach dem Frühstück bin ich mit dem Bus hoch zum Bahnhof gefahren und habe mir meinen Weg zu dem richtigen Bus 306 gesucht, da man an jeder Ecke von Typen angelogen wird, die einen in ihre teuren Privatbusse locken wollen. Der richtige Bus 306 war schon voll und ich war die letzte, sodass wir auch gleich gestartet sind. Auf einer Stunde Fahrt habe ich auch herausgefunden, was ein Chinese macht, wenn er keinen Beutel oder Ähnliches hat zum reinspucken: Er spuckt in die Hand, um es dann an den Sitz zu schmieren. Dann kamen wir bei den Terracottawarriors an, da eine der Hauptattraktionen Chinas, ein total überlaufenes Touristeneldorado, umgeben von hunderten Souvenirläden, Restaurants, FastFood-Buden und Bettlern. Am Ticketschalter dann der Schock, mein Reiseführer hat gelogen, da stand was von 90¥, es waren aber nun mittlerweile 150¥, also umgerechnet 15€, was verdammt viel ist, auf so einer Asienreise. Da ich nun aber schon da war und auch schon 7¥ für den Bus bezahlt habe, kam ich da wohl nicht drum herum. Nachdem ich all die aufdringlichen Führer abgewimmelt haben, die mich für weitere 150¥ herumführen wollten, da man das ja ohne auf keinen Fall machen kann, musste ich weitere 5¥ für einen Shuttlebus bezahlen, der einen jedoch nur ein paar Meter weiter brachte. Endlich auf dem eigentlichen, interessanten Gelände angekommen, war ich wieder umzingelt von deutschen Reisegruppen, unter die ich mich mogeln konnte, um mehr Infos zu bekommen. Es gibt drei große Hallen mit den Ausgrabungen. Hier mal die Fakten: Die Terrakottaarmee wurde erst 1974 entdeckt, also scheinbar zu spät für den Staat, um sie ebenfalls zu zerstören. Man schätzt auf eine Armee von ca. 8000 Kriegern, Pferden, Kriegswagen und Waffen, die im Jahre 204 v.Chr. lebensgroß und detailgetreu aus Stein gehauen wurden, um das Grab (eines der größten Grabbauten der Welt) vom ersten chinesischen Kaiser Qín Shǐhuángdì zu beschützen. Ok, ich muss zugeben, es war sein Geld wert, es ist wirklich gigantisch anzusehen, all diese uralten Statuen, die Jahrhundertelang unentdeckt im Erdreich lagen und nun Stück für Stück ausgegraben und zusammengebastelt werden. Bisher sind erst ca.2000 davon restauriert. Und ursprünglich waren sie auch alle bemalt, doch die Farbe verblasst, sobald sie ausgegraben werden. Aber Forscher aus Bayern haben nun ein Gegenmittel gefunden, um auch die Farbe noch zu erhalten.

Ok, danach ging es mit dem Bus wieder zurück in die Stadt, mit dem nächsten Bus wieder zum Glockenturm, von wo ich nochmal ins muslimische Viertel bin, es gab noch einiges, was ich noch probieren wollte. Danach wollte ich nochmal an den Zugticketschalter, der aber gerade fünf Minuten vorher geschlossen hat. Da ich nochmal Geld brauchte, nicht dass man hier viel braucht, aber ich hab wohl zu viel gegessen und zu viel gekauft in den letzten Tagen, ging es nochmal zu einer Bank, wo ich wieder kein Geld bekommen hab, also ging es zur nächsten und zur nächsten und zur nächsten. Hier ist jedes dritte Gebäude eine Bank, also hatte ich genug Auswahl und bei der siebten Bank funktionierte es dann auch mal. Zurück im Hostel hab ich schon wieder Sachen gepackt. Am späten Abend waren die beiden andern auf meinem Zimmer noch anzutreffen, diesmal haben wir noch bis nachts um eins geschwätzt, obwohl sie diesmal schon um sieben aufstehen mussten. Wie wir festgestellt haben, wollten sie auch weiter nach Luoyang, nur mit einem Zug früher. Und sie haben auch noch dasselbe Hotel gebucht.

Hier kommt nun noch ein Nachtrag, da das Internet im letzten Hotel nicht mehr funktioniert hat, um den Blog noch online zu bekommen. Ich bin heute Morgen nach einem vorerst letzten Mal Darbo- Marmelade mit dem Bus wieder an den Bahnhof gefahren. Ich hatte in der Wartehalle einen Platz ziemlich weit vorne ergattert, sodass ich gleich mit unter den ersten war, als die Absperrung geöffnet wurde. Das Gerenne ging los, obwohl wieder jeder seine Platzreservierung hatte. Erst hab ich es nicht verstanden, dann wurde es mir klar: wir mussten bis zum allerletzten Bahnsteig rennen, dann kam der Zug und hielt genau am Anfang, man startete also bei Waggon 1 am Zug entlang zu laufen. Und ich hatte natürlich den allerletzten Waggon, und zwar Nummer 18!!! Ja, die haben da 18 große Waggons gehabt, sodass ich nochmal 10Minuten laufen musste. Der Zug hatte Verspätung und dementsprechend war die Angst groß, dass er schon losfährt, bevor ich überhaupt am Ende angekommen bin. Ich hab es aber noch geschafft, hatte aber Sitz 115, also auch wieder der allerletzte im Waggon, sodass ich mich mit meinem ganzen Gepäck durch einen total überfüllten Zug quetschen musste. Am Sitz angekommen, saß dort schon jemand. Die Gepäckfächer waren schon prall gefüllt, aber irgendwie half man mir mal meinen Rucksack unter die Sitze zu quetschen. Natürlich starrten wieder alle auf mich, da der einzige Ausländer. Mein Sitz wurde frei gemacht und ich bekam den Fensterplatz. Es waren jeweils 6Sitze um einen Tisch, der vollgestapelt war mit Müll und Essen. Der Student, der neben mir saß konnte glücklicherweise ein paar Brocken englisch und übersetzte für die anderen ca.150 Menschen (die Gänge standen ebenfalls voll). Sie haben mich über alles genau ausgequetscht, wollten wissen, wie viel ein VW in Deutschland kostet und mich arrangieren, beim nächsten Mal einen mitzubringen, da so billig in Deutschland!? Ich habe erfahren, dass ein normaler Monatslohn hier ca.200-300€ beträgt, da lässt sich durchaus nachvollziehen, warum die Asiaten denken, ich wäre reich, die könnten sich keine Woche in Europa leisten. Sie wollten mir nicht glauben, dass ich schon so lange im Arbeitsleben bin, da ich zu jung und zu schön aussehe??? Hä? Sind Arbeiter hier nur alt und hässlich? Sie fanden es unfassbar, dass ich einfach meinen Job kündigen durfte und dass ich auch einfach wieder einen neuen finde. Und wenn sie mal reich sind, wollen sie mich alle in Deutschland besuchen kommen. Kaum eine Stunde war vergangen, als ich trotz dankendem Ablehnen vom Speisewagen ein Reisgericht hingestellt bekommen habe. Obwohl ich keinerlei Hunger hatte, kam ich nun nicht drum herum, mit Stäbchen Reis mit einem sauscharfen Gemüsezeug zu essen. Alle im Abteil hatten sich mittlerweile zu uns herumgedreht, unseren Gesprächen gelauscht, mir beim Essen zugesehen, mich die ganze Zeit angestarrt. Dafür, dass ich ein Mensch bin, der nicht gern im Mittelpunkt steht, muss ich hier in China lernen, immer der absolute Mittelpunkt zu sein. Nach einer Weile kam ein anderer Speisewagen, von dem mir Schnaps gekauft wurde. Mit so was hab ich ja in Russland gerechnet, nun saß ich in China mittags in einem Zug und musste mit chinesischen Herren wettsaufen machen, was sie bei einem ekligen Lakritz Schnaps mit ordentlich Umdrehungen klar gewonnen haben. Nach einer Weile gab es noch ein Eis spendiert, dann noch Obst, irgendwann wurde mal für eine Stunde geschlafen, die Landschaft wurde mir erklärt, im Übrigen traumhaft schön, da überall heilige Berge aufragten und die Täler in einem Meer aus rosa Blüten versanken. Da es im Zug keine Anzeigen gab, wo wir überhaupt sind, hat der ganze Waggon dann so was, wie stille Post gespielt, um die Frage nach der nächsten Station bis zum Schaffner nach vorne zu tragen. Achso, während der ganzen Zeit hat man versucht, mich mit dem englischsprechenden Studenten zu verkuppeln. Hier ist 24 die letzte Chance für eine Frau zu heiraten. Er wollte dann unbedingt meine Kontaktdaten haben, aber nicht, wie sonst die Emailadresse und Telefonnummer, sondern auch meine Adresse von zu Hause. Und Er gab mir auch die Anschrift seines Elternhauses. Also liebe Eltern, falls ihr irgendwann mal Post aus China bekommt, wo um die Hand eurer Tochter angehalten wird… einfach ignorieren. Nach fünf Stunden Fahrt winkte mir der gesamte Waggon zu und verabschiedete mich mit dem neugelernten „Tschüss“. Also hab ich doch einen ganz anderen Eindruck bekommen. Ich muss vielleicht nur mit dem Starren klarkommen und dann ist es vielleicht gar nicht so schlimm.

Jetzt bin ich jedenfalls im Hotel angekommen, das Pärchen vom letzten Hotel hab ich schon wieder getroffen. Für morgen hab ich mal eine teure Tour gebucht, war nämlich zu faul, mir meinen Weg selbst zum Shaolinkloster zu suchen. Außerdem haben wohl schon zwei Russen gebucht, und die muss ich ja nun auch kennenlernen.

 

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