Die längste Zugfahrt ist überstanden, toll war es nicht. Es ging 55 Stunden mit dem Zug durch die Taiga, mit jeder Menge Lesestoff, Schlaf und mangelnder Kommunikation. Ich bin am Sonntag zum Bahnhof gelaufen, hab eine halbe Stunde gebraucht, bis ich rausgefunden habe, wo ich mein Ticket bekomme bevor es zum Zug ging. Im Abteil hab ich gleich ein unteres Gepäckfach für meinen großen Rucksack beansprucht und hab mein oberes Bett bezogen. Eine ziemlich enge Geschichte, da man nicht mal auf dem Bett sitzen kann aus Platzmangel, die Breite reicht gerade so für einen normal gebauten Menschen, aber viel mit rumdrehen ist da nicht, und ich bin 1,60m, meine Füße haben über die Bettkante geragt, keine Ahnung, was da ein 1,90m Mensch macht. Zuerst hab ich noch unten gesessen, ich hatte nur ein russisches Pärchen neben mir und ein Russe gegenüber. Das Pärchen sprach ein paar wenige Worte englisch und haben mir tausend Fragen stellen wollen. Irgendwann haben wir dann die Zeit damit vertrieben, dass sie mir Bilder gezeigt haben von ihren Hunden, von ihrer Hochzeit, von ihrem Urlaub, usw. Irgendwann kam noch eine ältere Dame dazu, die nur russisch sprach. Es ging relativ früh ins Bett, im Gegensatz zu den chinesischen Zügen, war es ziemlich ruhig.
Am nächsten Morgen sind die jungen Leute gegangen und ich war alleine mit der alten Dame. Als ich mein Frühstück ausgepackt hab, hat sie es gleich weggeschoben. Sie hatte selbstgebackenes Brot und Waffeln dabei, die ich essen sollte. Eine Tomate hat sie mir zugeschoben und mir ein gekochtes Ei geschält. Ich durfte dann wenigstens Apfel und Mandarine dazugeben. Wir konnten nicht kommunizieren, aber haben uns verstanden. Gegen Mittag kam noch ein alter grimmiger Russe dazu, der nicht wirklich kommunikativ war. Ich hab mich an den unbesetzten Fensterplatz verzogen und mich abwechselnd meinem Buch und der vorbeiziehenden Landschaft gewidmet. Interessant würde ich jetzt anders definieren. Es waren Birkenwälder, sibirische Holzhütten, Kleingartenanlagen und Plattenbauten. Mein Glück war, dass meine Zugbegleiter recht jung waren und dementsprechend dauerhaft laute Musik lief. Zu meiner Freude nur Techno und House, für die älteren Leute nicht gerade geeignet. Die Stunden zogen sich sehr langsam, könnte auch an dem Schneckentempo des Zuges gelegen haben. Für einen ausgedehnten Mittagsschlaf ging es mal wieder ins Bett, bevor die nächsten hundert Seiten gelesen wurden. Wir haben auf der Strecke vier Zeitzonen durchquert, weshalb es recht verwirrend war, da wir die ganze Zeit die Moskauzeit vor uns hatten. Und da die Musik erst um elf (nach Ortszeit) ausgeschaltet wurde und die Sonne auch um die Zeit noch da war, ging es recht spät zum Schlafen.
Der nächste Morgen: über Nacht kamen jede Menge Leute dazu, der Wagon war voll und ich bin so lang, wie möglich im Bett liegen geblieben, da es immer recht kompliziert war aus dem Bett zu klettern. Die einzige Abwechslung während der Zeit kam, als der Zug mal in irgendeinem Ort länger gehalten hat, sodass man mal rausgehen konnte. Am Mittag haben nochmal die Leute gewechselt und ich habe zwei pampige alte Frauen neben mich bekommen, die mit riesigem Geschimpfe meinen Rucksack rausgeschmissen haben. Ein jüngerer Russe hat mit einem Lächeln wahrgenommen, dass ich kein Russisch spreche und mir geholfen, den Rucksack ins obere Gepäckfach zu befördern. Zu meinem Bedauern musste ich aber dann feststellen, dass der nicht mitfährt, sodass ich dann, als ich aussteigen wollte erst jemanden finden musste, der mir meinen Rucksack wieder runter holt. Mein Buch war mittlerweile durchgelesen, mein Laptopakku aufgebraucht und Schlaf hatte ich eh mehr als genug bekommen, sodass ich sehr froh war, als wir um elf Uhr abends Ortszeit endlich in Jekaterinburg eingetroffen sind. Da ich dunkle Nacht erwartet hatte, habe ich den Pick-up-service vom Hostel gebucht und dementsprechend erwartete mich der Besitzer schon vor meinem Wagon. Die Sonne war gerade erst untergegangen, aber ich war dann trotzdem froh, dass ich den Weg zum Hostel nicht alleine antreten musste. Wir haben auf ein Taxi gewartet und ich war wieder recht erstaunt, als ein getuntes Auto anhielt, das keinerlei Taxieigenschaften aufwies. Der Fahrer war sicher nicht älter als ich und fand es total toll mit 120km/h durch die Stadt zu rasen, was bei nicht funktionierenden Sicherheitsgurten wieder äußerst abenteuerlich war. Wir kamen aber dann doch noch heil am anderen Ende der Stadt an und die zwei anderen Leute im Zimmer waren auch noch wach, sodass ich die mangelnde Kommunikation in den letzten 55Std mit einer Holländerin wieder ausgleichen konnte.
Am nächsten Tag hab ich rein gar nichts gemacht, außer lange geschlafen, zum Supermarkt gegangen und mit der Holländerin gequatscht, bevor sie ausgecheckt hat. Abends gab es mal wieder einen guten Film und auf Grund der Hitze, die im Zimmer herrschte und einem hyperaktiven, lauten Hund, der zusammen mit dem schwulen Pärchen in dieser Wohnung wohnt, eine recht schlaflose Nacht.
Am nächsten Tag bin ich mittags mal in die Stadt gestartet. Zuerst zum Bahnhof, um überrascht festzustellen, dass die russische Bahn nun auch Ticketautomaten hat, wo ich mein nächstes Ticket ausdrucken konnte und für mein letztes Ticket feststellen musste, dass es nur noch teure Tickets gibt, sodass ich das erstmal nicht gekauft habe. In der Wartehalle wurde ich mal wieder sehr oft auf Russisch angesprochen, unter anderem von drei Russen, die rausfinden wollten, von wo ich komme und da sie mein „Германия“ irgendwie nicht verstanden haben, haben sie meinen Reisepass lesen wollen und dann gerätselt, was „Reisepass“ für ein Land ist, anstatt auf die Idee zu kommen das Wort Deutschland zu lesen. Irgendwann hatte sich aber noch eine Frau eingemischt, die englisch sprach und dann als Übersetzer diente. Da mir die Schlange am Ticketschalter zu lang war, bin ich dann wieder zurück ins Citycenter gelaufen, wo ich ein wenig Sightseeing gemacht habe. Es gab viel zu laufen und die Sonne brannte, weshalb ich dann mal in einem Park Pause eingelegt habe, wo ich mal wieder von einigen Herrschaften auf Russisch angesprochen wurde. Ich hätte die Sprache wohl doch erst lernen sollen, aber zumindest kann ich jetzt auch auf Russisch sagen, dass ich kein russisch spreche, was sie allerdings trotzdem nicht daran hindert, weiter zu reden. Irgendwann hab ich dann mal eine Einkaufsstraße gefunden und hab die Zeit in einem großen Shoppingcenter verbracht. Ganz erstaunt hab ich festgestellt, dass die hier H&M und New Yorker haben und in einem Wiener Café hab ich auch was Gutes zu essen bekommen. Es war mittlerweile schon ziemlich spät, aber hier haben auch die kleinen Geschäfte bis um zehn offen. Mit ein bisschen Suchen hab ich dann auch mal einen Bus gefunden, der mich zurück zum Hostel brachte.
Am nächsten Tag, also heute, bin ich mittags gestartet, mit einer Französin nochmal zum Bahnhof, wo ich nun doch noch ein günstiges Zugticket von Moskau nach St. Petersburg bekommen habe. Wieder war von Vorteil, dass ich auf Russisch aufschreiben konnte, wo ich wann hin wollte. Mit dem Bus ging es dann weiter zum eigentlichen Ziel: IKEA! Jaaaa… am Vortag hab ich Werbung dafür gesehen, also hab ich gleich danach gesucht. Und da standen wir nun vorm IKEA, der gleich neben Obi und Mediamarkt war…seltsam. Es gab also lecker Kötbullar und Mandeltorte und da ich zu meinem Bedauern nichts kaufen konnte, gab es wenigstens eine Handvoll Bleistifte, kann ja nicht ganz ohne was aus einem IKEA gehen, wär ja was ganz Neues. Ach war das schön, nach über 14 Monaten IKEA-Entzug. Danach ging es mit dem Bus zurück in die Stadt, bei Kaffee und Blinis wurde gewartet, dass es aufhört zu regnen und dann waren wir wieder im Hostel.
Morgen Mittag geht es wieder an den Bahnhof, diesmal erwartet mich eine 33Std Zugfahrt nach Moskau. Noch 8 Tage, dann bin ich schon wieder zu Hause…





