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Nepaltrekking - Der Abstieg

Zurueck im Gasthaus war unser Gastwirt ungeduldig. Neue Gaeste waren schon da und die alten Gaeste immer noch nicht vom Berg zurueck. Wir hatten ja noch all unsere Sachen in den Zimmern gelassen. Die Hollanderin war gerade erst eine halbe Stunde vor mir zurueck gekommen. Die deutschen brauchten noch 2 Stunden laenger und die Chinesen kamen auch erst eine Stunde nach mir. Also musste ich mich schnell frisch machen, packen und raus aus dem Zimmer. Ich machte noch Mittag und dann ging ich weiter nach unten. Aber wirklich weit wollte ich eigentlich gar nicht. Ich machte zwischendurch Pause und legte mich auf einen Fels und starrte die Berge an fuer ueber eine Stunde. Denn das hatte ich in all den Tagen voller Schmerz und Schweiss vollkommen vergessen: einfach mal stehen bleiben und geniessen. Danach ging es noch eine halbe Stunde zum Mittelcamp und ich beschloss dort zu uebernachten. Die Berliner waren auch schon da. Und die anderen beiden Deutschen hatten auch reserviert und kamen kurz vor Sonnenuntergang. Ich musste mir ein Zimmer mit einem Briten teilen. Sein starker WalesXXX

akzent war nur schwer zu verstehen. Aber ein Netter. Um die 50, das 14te Mal in Nepal, mit langem Vollbart und Glatze. Er war bei Wandertag Nummer 23 angekommen. Und er zeigte uns voller Stolz seine Kamera: eine Wegwerfkamera mit 38Bildern. Er hatte noch 4 uebrig. Das waren noch Zeiten, kaum mehr vorzustellen und doch gar nicht so lange her. Ich bin mittlerweile bei ca.900 angekommen, fuer die letzten 6Wochen Reise.

Wir waren also zu sechst, der Gastwirt alleine. Das Mittelcamp wurde erst 2Wochen vorher eroeffnet. Bis vor zwei Jahren war dieser Weg komplett auf Camping ausgelegt. Nun versucht man nach und nach Huetten zu bauen und mehr Touristen zu bekommen. Problem ist allerdings: es gibt kein Wasser. All die Gletscher drum herum nutzen dort oben nichts, denn man ist auf dem Kamm, der aufsteigt zum Gipfel des Mardi Himals auf 5568m und dem MachupichXXX

auf 6997m. Die Fluesse und Gletscherseen sind in den Taelern. Man pumpt also mit duennen, kaputten Schlaeuchen von Landruk und Sidhing (den Orten an den Seiten des Kammes) hoch zum Forest Camp, von dort zum Low Camp und weiter reicht der Druck dann nicht mehr. Also muss von weiter oben jemand mehrmals taeglich runter laufen, um mit Kanistern Wasser hoch zu holen. Auf Regen braucht man dort auch nicht zu hoffen. Und Schnee gibt es dann eben doch nur im wirklichen Winter fuer ein paar Monate. Nachdem uns der Gastwirt ueber sein Leid berichtet hat, wussten wir also unser Essen mehr zu schaetzen und nahmen nur ein paar sparsame Tropfen Wasser zum Zaehneputzen und Gesichtwaschen.

An diesem Tag war etwas besonderes: die Wolken. Normalerweise kamen sie am Nachmittag nach oben und verhuellten die Gipfel. Aber an dem Tag blieben sie ueber den Taelern auf ca.3300m haengen, den ganzen Tag. Und wir waren in der Huette ca 200m ueber diesen Wolken. Man kam sich vor, als wuerde man im Flieger sitzen. Eine Landschaft, wie aus Zuckerwatte, nur die hohen Berggipfel und -kaemme ragten heraus. Wir sassen draussen und genossen die Sonne, die erst nach fast zwei Stunden Sonnenuntergang endlich unterging. Auch der Gastwirt sass mit uns am Hang und machte Fotos. Er sagte uns, so ein Phaenomen komme hoechstens einmal im Jahr vor. Unbeschreiblich schoen, wirklich. Die dichten Wolken wirbelten langsam umher, versuchten ab und zu mal in einer Ecke hoch zu klettern, wurden aber wieder nach unten gezogen. Es war einfach magisch. Diese unbezahlbaren Momente, wenn man sich eben doch mal Zeit zum geniessen nimmt. Wie heisst es so schoen: “There is no wifi here, but the connection is much better.” / “Hier gibt es keinen Empfang, aber die Verbindung ist viel besser.”.

Es war ein schoener Abend, der Gastwirt hatte nicht viel Arbeit mit uns sechs Leuten und hatte sein Abendbrot mit uns am Feuer. Der Sternenhimmel war unglaublich schoen, mit der Konstelation zweier Planeten, die deutlich zu sehen waren. Das kommt wohl nur alle Jubeljahre mal vor. Es war also in vielerlei Hinsicht ein besonderer Tag. Der Berliner erzaehlte uns ueber die Sterne und machte unglaubliche Fotos. Er hatte knapp 15kg Kamerazubehoer dabei. Da lachte der Brite mit seiner Wegwerfkamera.

Der naechste Morgen war anders. Nicht das Wetter, denn wie jeden Morgen der 30Tage, die ich in Nepal war, begruesste einen die Sonne und blauer Himmel. Nein, es war anders, denn man wusste, man hatte es geschafft. Es ging wieder abwaerts. Man wusste, man musste sich nicht weiter hoch quaelen. Nun war ich die, die entgegenkommenden Wanderern sagen konnte, wie weit es noch ist, und nicht umgedreht.

Wir schliefen aus, d.h. auf dem Berg bis halb acht. Wahnsinn. Und niemand hatte Fruehstueck bestellt, also goennten wir auch unserem Gastwirt einen spaeten Start und weckten ihn erst um acht Uhr. Danach startete ich mit den Tuebingern runterwaerts. Wir hatten das selbe Tempo und gute Gespraeche, die Zeit verging schnell. Nun beschwerten sich die Knie vom Bergabgehen und es gab neue Stellen an den Fuessen mit schmerzhaften Blasen. Wir stoppten fuer Tee und Wasserauffuellen im Lowcamp. Nun konnte ich auch beruhigt mein Geld ausgeben. Denn davon hatte ich zu wenig mitgenommen, sodass ich mir meist nur 2Mahlzeiten leisten konnte. Aber ich kam ueber die Runden.

Nach 4Stunden hatten wir Sidhing erreicht, den ersten Ort auf der anderen Seite vom Kamm. Wir gingen ins erste Gasthaus zum Mittagessen. Es gestaltete sich recht schwierig, da die Gastwirte kein Englisch sprachen. Aber wir bekamen mehr oder weniger, was wir bestellten. Sie konnten uns nun aber nicht helfen mit unseren Moeglichkeiten. Ich wollte zurueck nach Phokara laufen, was mich nochmal 2 Tage gekostet haette, aber es ging nur ueber Schotterwege durch kleine Doerfer. Und die beiden Tuebinger wollten einen Gelaendewagen finden und zurueck fahren. Dafuer, dass meine Fuesse schwerzten, meine Klamotten stanken, mein Koerper eine Dusche brauchte, war es verlockend, mit den beiden zu fahren. Als wir rausgingen, stand da ein Gelaendewagen mit zwei schlafenden jungen Maennern. Wir weckten sie und fragten nach dem Preis. Wir konnten sie problemlos auf 3000Rupien runter handeln. Also umgerechnet 10Euro fuer jeden von uns. Ich war ueberzeugt, ich fuhr mit ihnen runter. Wir luden unsere Rucksaecke auf die Ladeflaeche und setzten uns auf den Ruecksitz. Ich machte vorm Einsteigen noch den Fehler, mir das Auto anzusehen. Die Vorderreifen hatten noch 0,0 Profil, garnichts mehr. Und das wo ich erst vor einem Jahr ein halbes Vermoegen in meine Reifen investiert hatte. Was uns erwartete war eine Gelaendestrecke der besonderen Art. Achterbahn fahren ist nichts dagegen. Denn hier haette uns ein Fehler des Fahrers das Leben kosten koennen. Als Schotterstrasse kann man das jetzt nicht unbedingt bezeichnen. Es war eine Spur aus Sand, Steinen, Schotter, auf die gerade so ein Auto passte. An den Seiten ging es steil nach oben oder steil nach unten. Wir waren noch auf 1900m und mussten runter auf 800m. Von ueberall kamen Baeche und Fluesse, die den Weg in eine Rutschpartie verwandelte. Riesige Schlammloecher bereiteten dem Auto ohne Reifenprofil so einige Probleme. Wir hielten uns mit aller Kraft fest und wurden trotzdem wild herumgeschleudert. Von Gurten konnte man natuerlich nur traeumen. Der Fahrer und sein Beifahrer waren staendig am telefonieren. Es stellte sich heraus, dass sie all die kleinen Ortschaften benachrichtigten, damit noch andere Fahrgaeste und Lieferungen zusammen getrommelt werden konnten. Der Ort war abgelegen, nicht viele Wanderer stiegen auf dieser Seite ab. Und der Weg fuer den Gelaendewagen wurde erst ein halbes Jahr vorher erschaffen. Das machte sich auch damit bemerkbar, dass die Leute in den Doerfern noch voller Entsetzen das Auto anstarrten und Kinder winkend mit uns rannten. Nach und nach wurde immer mehr eingeladen. Zwei Omas quetschten sich auf den Beifahrersitz. Der Beifahrer musste aufs Dach. Geldbuendel fuer Bankangelegenheiten wurden mitgegeben. Reissaecke und Mais wurden eingeladen. Zu Bestzeiten hatten wir 5Leute auf dem Dach, drei Leute auf der Ladeflaeche mit all dem Gepaeck und fuenf Kinder an den Seiten haengen. Trotz der lauten indischen Musik war der Fahrer hoechstkonzentriert. Eine ganze Weile mussten wir im Zickzack durch den Fluss. Das Wasser kam aber nur einmal zu den Tueren rein. Irgendwann kamen wir zu einem Bagger im Fluss, der gerade eine Strasse baute. Allerdings sah er uns nicht und wir hielten hinter ihm an. Der Fahrer stieg aus, nachdem sein Hupen nicht gehoert wurde und fing an zu schreien. Nichts. Der Bagger machte ungestoert weiter. Er drehte voll beladene Schaufel in unsere Richtung und sah gerade noch rechtzeitig unseren Fahrer wegspringen, bevor er die Felsbrocken abkippte. Dann machte er uns den Weg frei. Einmal ging es nach einem Schlammloch auf einem rutschigen Felsen ein Stueck zur Seite runter, wo auch die zwei Damen vorne schrien. Aber: nach drei abenteuerlichen, adrenalingeladenen Stunden, kamen wir unbeschadet unten an. Es hatte sich also gelohnt, dass ich mitgefahren bin. Mit einem Taxi ging es weitere 20Minuten in die Stadt, bis wir dann in einer Ecke waren, die wir kannten und dem Fahrer sagten, er koenne uns dort raus lassen. Denn er wusste nicht, wo wir hin wollten, kannte keines unserer Hotels und konnte auch kein Englisch sprechen.

Ich war also wieder in der Zivilisation. Mein Gepaeck wartete im Hotel auf mich, zusammen mit einer heissen Dusche und einem gemuetlichen Bett. Ich hatte nicht mal mehr die Kraft zum Abendessen raus zu gehen und lag schon um halb acht im Tiefschlaf. Es war eine tolle Zeit, eine Erfahrung, die mir immer in Erinnerung bleiben wird, aber ich war auch froh, dass ich es ueberstanden hatte.

 

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