Aufgrund meiner zu spaeten Zugbuchungen musste ich auch gegen eine weitere wichtige Regel verstossen: nicht in der Nacht ankommen. Nach Einbruch der Dunkelheit sollte man eigentlich als Frau im Hotel hinter verschlossener Tuer sitzen und auf gar keinen Fall alleine draussen unterwegs sein. Aber nun liess es sich nicht vermeiden. Und mit der Verspaetung vom Zug war es dann fast 11Uhr abends als ich in Agra ankam. Der Bahnhof natuerlich vollgequetscht mit indischen Maennern. Adrenalin pur. Ich wusste, dass es einen Prepaid-Taxistand gibt, der zumindest ein bisschen sicherer war, als einfach einen dahergelaufenen Tuktukfahrer anzuheuern. Ich versuchte meinen Weg nach draussen zu finden. Hinter mir hatte ich noch ein Ehepaar, das auch nicht wusste, wohin. Als ich zu einer Rolltreppe lief, wurden sie zurueckgerufen von einem Typen, der ihnen sagte, dass der Ausgang woanders sein. Also folgte ich ihnen auch. Allerdings folgte mir nun der Typ. Ich blieb an einem Imbiss stehen, um Wasser zu kaufen, er wartete und beobachtete mich. Ich lief in die andere Richtung, er folgte mir. Ich lief zurueck Richtung Ausgang, er folgte mir. Jedes Mal, wenn ich stehen blieb und ihn ansah, sah er weg und tat, als wuerde er telefonieren. Ich hatte Angst. Am Ausgang sprach mich ein Typ an, der mir von dem Taxistand erzaehlte. Ich traute ihm zwar auch nicht, aber zumindest brachte er mich in die richtige Richtung und der andere Typ war weg. Ich bezahlte zu viel fuer ein Taxi, schwitzte immer noch vor Angst, aber hatte irgendwann meine Sachen im Kofferraum verstaut und war froh, von meinem Fahrer zu hoeren, dass er Muslim ist. Hoert sich jetzt vielleicht komisch an, aber Muslime haben zumindest noch ein bisschen mehr Respekt vor Frauen, die Hindus sind die, die Frauen als Gebrauchsgegenstaende ansehen.
Im Hostel angekommen war ich positiv ueberrascht. Wohl bei weitem das schoenste Hostel, dass ich seit Wochen hatte. Das Gebaeude war wie ein Palast aus tausendundeiner Nacht. Ich hatte ein sauberes Zimmer mit 4Betten fuer die erste Nacht fuer mich alleine. Das Bad war nagelneu und toll dekoriert. Fruehstueck gab es zwar auch wieder nur das Spiegelei mit einer Scheibe Toast, aber zumindest war der Chaitee nicht uebermaessig wuerzig und es war nur ein Mitarbeiter auf der Dachterasse, der einen anstarrte.
Am ersten Tag in Agra lief ich zur Festung. Ein 3km langer Weg, aber ich hatte ja Zeit. Aber da war das Problem, dass ich am Taj Mahal vorbei musste. Indiens bekannteste und meist besuchte Touristenattraktion brachte natuerlich auch jede Menge aufdringliche Typen mit sich. Der eine wollte mir seinen Shop zeigen, der andere wollte mich herumfuehren, der naechste wollte mir Postkarten verkaufen, und dann waren da die Rickshaw-Fahrer. Um das Taj Mahal waren keine Diesel- oder Benzinmotoren erlaubt (nicht, dass das den Smog verhindert haette), also gab es entweder Elektro-fahrzeuge oder die beruehmten Pferdekutschen. Die Gegend ist beruehmt fuer die Marwari-Pferde. Wunderschoene Tiere. Sie wurden frueher fuer den Krieg genutzt. Robuste kleine Pferde mit grosser Ausdauer. Und mit dem speziellen Merkmal der Sichelohren. Hier in Agra waren diese stolzen Kriegspferde allerdings abgemagert und heruntergekommen. Verkrueppelte Hufe, Wunden ueberall, auf Haut und Knochen ausgehungert, filziges Fell, leerer Blick,... absolut herzzerreissend anzusehen. Aber es gab leider noch genug dumme Touristen, die fuer diese Quaelerei zahlten. Manchmal sah man diese kleinen Kutschen, von einem Pferd allein gezogen, mit sechs Leuten vollgequetscht. Jeder Kutscher der mir also auf die Nerven ging, ob er mich umherfahren koennte, wurde gleich von mir angeschrien, dass er lieber mal sein Pferd fuettern soll. Ich kam auch an einem “Stall” vorbei. Wenn diese armen Tiere also nicht vor ihre Kutsche gespannt den ganzen Tag auf der Strasse stehen, werden sie auf einen staubigen Platz gestellt, an einen kurzen Strick gebunden und muessen auf ein bisschen Futter hoffen und die Nacht dort verbringen. Das ist das Leben eines stolzen Kriegspferdes heutzutage.
Ich fand meinen Weg zur Festung, verbrachte auch einige Stunden dort, um mir all die schoenen Palaeste und Tempel anzusehen. Alle Selfieattacken wurden wieder sofort abgeblockt. In einer Moschee musste man die Schuhe vorher ausziehen. Dort stand eine Frau, der ich schon angesehen habe, dass sie Probleme machen wuerde. Aber ich sah andere, die ihre Schuhe wieder anzogen und nichts zahlen mussten. Als ich nach nicht mal einer Minute wieder raus kam, wollte sie natuerlich Geld von mir. Dafuer, dass meine Schuhe ein paar Sekunden neben ihr standen. Ich fragte wieviel und sie kam wieder mit dem typischen Bloedsinn “As you want”(wie du willst). Ich hielt eine 5Rupee-Muenze hin, wollte sie nicht. Ich fragte wieder, wieviel. Selbe Antwort. Ich gab einen 10Rupee-Schein. Wollte sie nicht. Ich wurde ungeduldig. Ich sah, dass alle anderen nichts bezahlten. Sie murmelte etwas von einem Dollar. Tsssss! Unglaublich! Ich fragte, ob das wieder nur Touristenabzocke ist. Eine Inderin kam mir zu Hilfe und sagte, es sei offiziell, dass man dafuer zahlen muss. Sie steckte meinen 10Rupee-Schein in meine Tasche und nahm eine 2 Rupee-Muenze aus meiner Hand, um sie der Frau zu geben. Sie diskutierten wild, ich hoerte ab und zu wieder “1 dollar”. Letztlich gab mir die nette Frau die Muenze wieder mit dem Kommentar “No pay. Bad woman.”(Bezahl nicht. Boese frau.). Also war es wirklich wieder nur Abzocke und sie wollte 1Dollar dafuer, dass meine Schuhe fuer 40Sekunden neben ihr standen, waehrend alle anderen im Vergleich nur umgerechnet 2Cent zahlten. Ach Indien!
Ich schlunzte durch einen leeren Park zurueck. So sehr ich auch all die ueberfuellten Plaetze Indiens hasse, eine Gegend, in der man alleine war, war noch viel unheimlicher. Ein Obdachloser schrie mir irgendetwas zu. Zwei Typen starrten und verfolgten mich eine ganze Weile. Zwei Jungs, hoechstens vierzehn, auf Fahrraedern riefen mir das uebliche “Wanna fuck with me?” zu. Ein Typ mit einem Affen an der Leine wollte mir seine Show/ Tierquaelerei zeigen und rief mir wuetende Dinge zu, als ich verneinte. Eine Gruppe Jugendlicher hoerte laute Musik in einer kleinen Huette und rief mir zu, ob ich Drogen kaufen will. Ich lief im Stechschritt, aber der Park wollte nicht enden. Als ich endlich draussen war, war ich sogar froh, die nervigen Rickshaw-Fahrer wieder zu sehen.
Es war schon zu spaet, um sich noch andere Sachen anzusehen. Schliesslich muss man hier immer genau kalkulieren, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurueck im Hotel zu sein, hinter verschlossenen und bewachten Tueren. Aber zumindest hatte ich gute Gesellschaft. Eine Aegypterin teilte sich mit mir das Zimmer. Ein ungewoehnliches Land. Sie teilte alles mit mir, bzw stopfte all das Essen in mich rein, dass sie gekauft hatte. Ich musste alles mit ihr probieren. Nun habe ich also auch eine Adresse, falls ich mal nach Aegypten komme.
Am naechsten Morgen klingelte dann sehr frueh der Wecker. Ich machte mich in der Daemmerung auf den Weg zum Taj Mahal. Man hatte mir gesagt, der Sonnenaufgang sei so sehenswert. Ha! Von wegen! Bei eisiger Kaelte stand ich erst 20Minuten Schlange, um ein Ticket zu bekommen. Dann nochmal 10Minuten, um die lustigen Huellen zu bekommen, die man sich ueber die Schuhe ziehen muss, bevor man das Marmor des Taj Mahals betreten darf. Und dann ging es in die naechste Schlange, um 30Minuten zu warten, bevor der Eingang ueberhaupt geoeffnet wurde. Bis dahin war der eigentliche Sonnenaufgang bereits geschehen. Was aber auch nicht weiter schlimm war, da der Smog sowieso so dick war, dass man fuer die naechsten 4Stunden keine Sonne gesehen hat. Und auch die Gebaeude selbst waren nur im Smog zu sehen. Ich stand in der naechsten Schlange, um ein Foto vom ersten Aussichtspunkt zu ergattern. Danach setzte ich mich erstmal auf eine Bank ein wenig abseits, um die ersten Massen vorueber ziehen zu lassen und nochmal abzuwarten, ob sich irgendetwas in der Farbe aenderte. Es heisst, das Taj Mahal sei ein romantischer Ort. Wer das denkt, hat nur die Bilder im Internet gesehen, wo bei blauem Himmel keine Menschen zu sehen sind. Die Realitaet ist aber eben der dicke Smog, der die Gegend die meiste Zeit des Jahres beherrscht und die Menschenmassen, die kein Bild von einem romantischen Taj Mahal zu lassen. Und die Lautstaerke von all den schreienden Indern... der Wahnsinn! Ich schob mich irgendwann wieder zurueck in die Massen, um zum eigentlichen Hauptgebaeude zu kommen. Schoen anzusehen ist es auf jeden Fall. Der weisse Marmor mit all seinen Verzierungen ist als architektonisches Meisterwerk zusammen gesetzt. Nicht ohne Grund ist es eines der sieben Weltwunder.
Gegen zehn Uhr musste ich erstmal wieder zurueck zum Hostel zum auschecken. Mit dem Gepaeck verstaut in der Lobby, machte ich mich nochmal auf den Weg zurueck. Neben dem Taj Mahal gab es noch einen Park. Der war zum Glueck ein wenig belebter als der letzte. Von dort hatte man nochmal einen schoenen Ausblick auf das Taj. Im Smog natuerlich. Ein kleiner Welpe, vielleicht 9Wochen alt, machte mich aufmerksam. Er wanderte recht verloren umher. Als ich ihn das zweite Mal sah, ging ich zu ihm. Er war abgemagert, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und war absolut neben der Spur. Ich setzte mich hin und lockte ihn zu mir. Er legte sich neben mich und schlief sofort ein. Ich holte meine Kracker raus, das einzig Essbare, was ich dabei hatte, und brach ihm Stueckchen ab. Fuer jeden Bissen musste ich ihn aufwecken. Der Schwanz wedelte wieder freudig fuer ein paar Sekunden und dann schlief er wieder bis zum naechsten Bissen. Nun sah ich auch, was ihn so schwach machte. Eine klaffende Wunde am Hals. Eine Menge Blut fuer so ein kleines Tier. Da war ich also, in einem fremden Land, ohne eine Ahnung, wo ich anrufen koennte, mit dem Gedanken den kleinen Wauwau in meinen Rucksack zu stecken und mitzunehmen, ich hatte Traenen in den Augen, es sah nicht gut fuer ihn aus. Die Leute gingen zu Hauf an uns vorbei und starrten nur bloed. Dann blieb ein junges Paerchen stehen, wo sie auch Mitleid hatte. Sie googelten nach einer Tierschutzorganisation, riefen dort an wir packten den Kleinen in einen schoenen bunten Sari und auf das Motorrad der beiden. Ob er es geschafft hat oder nicht, werde ich wohl nie wissen. Aber zumindest bin ich jetzt keine Hundebesitzerin. Nur mein Herz war ein grosses Stueck weiter gebrochen.
Ich konnte mich den restlichen Tag auf nichts anderes mehr konzentrieren. Meine Gedanken waren bei dem Hund. Am spaeten Nachmittag hatte ich einen Zug in den naechsten Ort. Jaipur.